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[fr-aktuell.de] Gegen die Logik der Knappheit
From: |
Georg C. F. Greve |
Subject: |
[fr-aktuell.de] Gegen die Logik der Knappheit |
Date: |
Sun, 07 Dec 2003 12:37:35 +0100 |
User-agent: |
Gnus/5.090016 (Oort Gnus v0.16) Emacs/21.2 (i386-debian-linux-gnu) |
FYI
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http://www.fr-aktuell.de/_inc/_globals/print.php?client=fr&cnt=352260&ref=/ressorts/wirtschaft_und_boerse/wirtschaft/
]
URL:
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/wirtschaft_und_boerse/wirtschaft/?cn
t=352260
Gegen die Logik der Knappheit
Freie Software ist für das Oekonux-Projekt eine Keimform für ein neues
Gesellschaftsmodell
[1]Prüfung eines Linux-Rechners (ap)
[2]+ Prüfung eines Linux-Rechners (ap)
Frankfurter Rundschau: Führt der Erfolg von Freier Software zur
Integration in die Marktwirtschaft, wird sie zum Geschäft?
Oekonux: Freie Software und Kommerz sind keine Gegensätze. Freie
Software unterscheidet sich von proprietärer Software unter anderem
durch die Lizenzen. Sie lässt den NutzerInnen praktisch jede Freiheit.
Sie darf auch weiter kopiert werden, so dass die künstliche Knappheit,
die proprietäre Lizenzen durch ihr Kopierverbot erzeugen, nicht
entsteht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Freie Software, die einmal
veröffentlicht wurde, an sich nicht mehr gewinnbringend verkauft
werden kann. Sie ist ein kostenloses öffentliches Gut, das allen zur
Verfügung steht.
Dennoch kann man mit Freier Software Geld verdienen!
Ja, es gibt Geschäftsmodelle rund um Freie Software. All diese leben
von einer Kombination Freier Software mit einem knappen Gut. Hierunter
fallen sowohl Distributionen, bei denen Betreuung, Handbücher und die
Zusammenstellung der Programmpakete bezahlt werden, als auch Services
oder proprietäre Produkte rund um Freie Software. Ein weiteres
Geschäftsmodell besteht darin, dass Freie Software im Kundenauftrag
entwickelt wird.
Ist diese Kommerzialisierung etwa von Linux gut oder schädlich?
Kommerzielle Verbreitung ist eine Möglichkeit, Freie Software und ihre
Ideen zu verbreiten. Von daher ist eine Kommerzialisierung nicht
negativ. Etwas anders verhält es sich, wenn wir das Entwicklungsmodell
betrachten. Nach einer im Projekt Oekonux verbreiteten Auffassung
rührt die Qualität Freier Software vor allem daher, dass
EntwicklerInnen nicht an Vorgaben des Marktes beziehungsweise der
Marketing-Abteilung gebunden sind. Vielmehr können sie sich
ausschließlich auf die absolute Qualität ihres Schaffens
konzentrieren. Diese Qualität ist es letztlich, die Freier Software
immer mehr zum Durchbruch verhilft - und nicht etwa die fehlenden
Lizenzkosten.
Sparen auf Gewinn zielende Firmen wie IBM oder Sun Entwicklungskosten,
indem sie Leistungen von Entwicklern Freier Software verwenden?
Freie Software
Ins Auge sticht zunächst, dass Freie Software nichts kostet. Zwar muss
der Nutzer für Distributionen - das sind Sammlungen freier Programme,
die Dienstleister wie Suse zusammenpacken und auf CD verkaufen -
bezahlen, doch wird damit die Leistung des Distributors bezahlt, nicht
die Software an sich. Die Kostenlosigkeit ist aber nur ein Aspekt: Es
geht mehr um "Redefreiheit" als "Freibier".
Wichtig dafür ist vor allem, dass der Quellcode - die "Blaupause" der
Software - frei zugänglich ist. Von daher kommt auch die Bezeichnung
Open Source, offene Quelle. So wird, was bei Firmen als
Betriebsgeheimnis gilt (proprietäre Software), für alle nutzbar. Freie
Software darf zu jedem Zweck eingesetzt werden, auch zum Geldverdienen
- sofern die Quellen verfügbar gemacht werden. Dafür sorgen besondere
Lizenzen. Die bekannteste ist die GNU General Public License (GPL),
die der Programmierer Richard Stallman Mitte der 80-er Jahre
vorstellte. Es ist erlaubt, die Quellen zu studieren und aus ihnen zu
lernen.
Freie Software, auch veränderte Versionen, dürfen weitergegeben werden
- vorausgesetzt der Empfänger bekommt die gleichen Rechte. Tatsächlich
ist das meist erwünscht, denn Fehlerbeseitigungen, Änderungen oder
Erweiterungen nützen allen. Open- Source-Software und Freie Software
werden oft synonym verwendet. In der Szene gilt erstere jedoch eher
als eine Entwicklungsmethode, letztere als soziale Bewegung. sch
IBM und Sun, die sich die Förderung Freier Software auf die Fahnen
geschrieben haben, sparen zwar gewisse Kosten durch die Leistungen der
Community, sie investieren aber auch selbst nicht unerheblich in die
Weiterentwicklung Freier Software, wie etwa das Büropaket Open-Office
zeigt. Der Profit, den solche Firmen im Umfeld Freier Software machen,
kommt tatsächlich aus den genannten Geschäftsmodellen, bei denen
Services und Hardware angeboten werden.
Besteht die Gefahr, dass die "Kultur" der Freien Software zerstört
wird, wenn Firmen Entwicklungsziele setzen?
Die Wirtschaft kann Freie Software im Auftrag entwickeln lassen, aber
sie kann der Freien-Software-Bewegung keine Ziele setzen, da jede(r)
EntwicklerIn, der aus eigener Motivation Software schreibt, sich seine
Ziele selbst setzt. Der Teil der Wirtschaft, der auf die eine oder
andere Weise auf Freie Software setzt, hätte aber auch gar nichts
davon, die Kuh zu schlachten, die er gerne melken möchte. Diese Firmen
haben begriffen, dass ihre Geschäftsgrundlage Freie Software genau so
funktionieren muss, wie sie es tut.
Scharf formuliert: Hilft die Community dem Kapitalismus?
Indem Freie Software künstliche Knappheit beseitigt, unterläuft sie
das System der Wertschöpfung, ohne die der Kapitalismus nicht
funktionieren kann. Im Projekt Oekonux betrachten viele das Phänomen
Freie Software als eine Keimform für ein neues Modell von
Gesellschaft. Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte bietet sich
die Chance, den Kapitalismus in eine Gesellschaftsformation zu
überführen, die nicht mehr nach der Logik der Knappheit funktioniert,
sondern sich auf einer Logik des Reichtums für alle gründet. Ein
Reichtum, der dann nicht mehr ein monetärer, sondern ein stofflicher
und sozialer Reichtum ist. Besonders bemerkenswert daran ist, dass das
Ganze nicht (!) als Teil eines politischen Programms geschieht.
Dann kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg in
eine neue Ökonomie weisen?
Das ist eine der Kernfragen des Projekts Oekonux. Auf Grund der
Argumente, die Oekonux dazu seit 1999 sammelt, würden viele
TeilnehmerInnen diese Frage sicher bejahen.
Wie könnte der Weg aussehen?
Diese Frage ist im Detail nicht seriös zu beantworten. Allerdings
schälen sich aus den Untersuchungen von Oekonux einige grundsätzliche
Überlegungen heraus. Die Wissenschaft selbst lebt schon seit Anbeginn
vom freien Fluss von Informationen. Es kann wohl als erwiesen gelten,
dass dieser Freie Fluss von Gedanken, Wissen und Information die beste
Art und Weise ihrer Weiterentwicklung ist. Betrachten wir heute
alltägliche Produkte, so können wir feststellen, dass ihr
wissenschaftlicher Anteil in Form ihres Hightech-Anteils ständig
steigt. Noch deutlicher wird dies, wenn wir die Produktionsanlagen
betrachten, auf denen diese Produkte hergestellt werden. Der
Automatisierungsgrad der materiellen Produktion steigt ständig und
Information ist ein entscheidender Faktor dieser Automatisierung. Das
Zentrum der Produktion auch materieller Güter rückt also immer mehr in
den Bereich der Produktion von Informationen.
Was für eine Bedeutung hat dabei Freie Software?
Sie ist eine Form, die diesen Zusammenhang auf höchstem technischen
Niveau ganz praktisch in die Produktion nützlicher Güter einfließen
lässt. Wenn aber die gesamte Güterproduktion zunehmend
wissenschaftlich wird, so ist langfristig zu erwarten, dass die besten
Produkte nach Prinzipien entstehen, die wir in der Freien Software
heute schon beobachten können. Dazu gehört die Selbstentfaltung der
ProduzentInnen als zentraler Motor für Innovation und Qualität. Diese
Selbstentfaltung kann letztlich nur dann gewährleistet sein, wenn der
Produktion äußerliche Interessen wie der Zwang zum Geldverdienen keine
Rolle mehr spielen. Eine Abschaffung künstlicher Knappheit ist dazu
eine Voraussetzung.
Welche Rolle spielt das Internet dabei?
Eine zentrale Rolle. In technischer Hinsicht ist das Internet die
Fernkopiereinrichtung für digitale Daten schlechthin. Aber auch in
sozialer Hinsicht spielt das Internet eine wichtige Rolle. Es
ermöglicht globale Kooperation, die ebenfalls eine der wichtigen
Prinzipien der Entwicklung Freier Software ist. Gleichzeitig macht das
Internet insbesondere über Mailing-Listen eine Transparenz möglich,
wie sie in anderen Medien gar nicht denkbar ist. Weiterhin ermöglicht
es allen Interessierten, sich zu dem Grad in ein Projekt einzubringen,
der ihnen individuell angemessen erscheint.
Selbstorganisationsprozesse, ein weiteres Kennzeichen Freier Software,
werden durch das Internet ebenfalls gefördert.
Software ist wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist nicht alles. Wo
lassen sich Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?
Links und Lizenz
Das Projekt findet sich im Internet unter [3]www.oekonux.de Alles über
seine Tagungen steht unter [4]www.oekonux-konferenz.de Die Langfassung
des "Interviews" mit der FR ist [5]hier zu lesen unter und der
Einstieg in die einzelnen Beiträge [6]hier. Eine wichtige
Informationsquelle für Freie Software ist die [7]Floss-Studie. Die
Texte auf dieser Seite erscheinen unter den Bedingungen der [8]GNU
Free Documentation License, Version 1.2, und dürfen frei verwendet,
kopiert, verändert und verbreitet werden, sofern diese Lizenznotiz
erscheint und Quelle und ursprüngliche Autoren genannt werden.
Oekonux
Oekonux entstand 1999 und ist ein vorwiegend virtuelles Projekt. Das
"Oe" am Anfang des Namens - eine Kombination aus den Worten "Ökonomie"
und "Linux" - ist als Hinweis darauf gedacht.
Kern des Projekts ist eine Mailing-Liste, auf der die Diskussion
geführt wird. Von Bedeutung ist zudem die Website, die auch Texte
enthält. Zentraler Bezugspunkt der Diskussion sind Freie Software und
deren (potentielle) gesellschaftliche Auswirkungen. Wer mitlesen oder
etwas beitragen will, ist herzlich eingeladen. Ein Wir in dem Sinne,
dass alle eine einheitliche Meinung haben müssen, gibt es nicht.
An Oekonux sind nicht nur Leute aus der Software-Szene interessiert.
Auch viele, die eher aus politischen Zugängen, aus der Kultur oder
einer Ingenieur-Richtung kommen, fühlen sich angezogen. Das Projekt
organisierte Oekonux-Konferenzen in Dortmund und Berlin. Die 3. soll
im Mai in Wien stattfinden. sch
Wollen wir eine Übergangsphase betrachten, so muss dies gar nicht die
zentrale Frage sein. Genauso wie die neue Produktionsweise der
bürgerlichen Gesellschaft zunächst nur Teilbereiche der
Gesamtgesellschaft abdecken konnte, kann auch eine Produktionsweise,
die an den Prinzipien der Entwicklung Freier Software orientiert ist,
zunächst nur Teile der Gesamtgesellschaft mit Produkten versorgen.
Freie Software ist ein Beispiel dafür. Dennoch hat sich die
industrielle Produktionsweise nach und nach durchgesetzt und nach und
nach die gesamte Gesellschaft nach ihren Prinzipien geformt. Ähnliches
ist für die Prinzipien der Entwicklung Freier Software denkbar, die
die Industriegesellschaft nach und nach in eine
Informationsgesellschaft überführt.
Es scheint eine Gegenbewegung zu geben. Etwa den Versuch,
Softwarepatente in der EU einzuführen, oder Vorwürfe der Firma SCO,
Teile des Linux-Codes seien "geklaut". All diese Versuche können als
Widerstand des Ancien Regime gedeutet werden. Der Geist, der
eigentlich schon aus der Flasche ist, soll wieder in dieselbe
zurückbefördert werden. Es ist zu erwarten, dass diese Versuche noch
zunehmen werden. Sind die Analysen des Oekonux-Projekts jedoch
richtig, so werden diese Versuche keinen dauerhaften Erfolg haben.
Noch nie hat sich eine fundamentale Änderung der Produktionsweise
dauerhaft verhindern lassen. Vielleicht gilt hier das alte
Ghandi-Zitat: "Erst ignorieren sie dich. Dann machen sie dich
lächerlich. Dann bekämpfen sie dich. Dann hast du gewonnen."
Dossier: [9]Die Alternative
Deutschland: [10]Skizzen für den Umbau
Wirtschaft: [11]Spaß am Programmieren
[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau online 2003
Dokument erstellt am 05.12.2003 um 18:08:02 Uhr
Erscheinungsdatum 06.12.2003
References
1.
http://www.fr-aktuell.de/_inc/_globals/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90&client=fr&cnt=352260&src=109621
2.
http://www.fr-aktuell.de/_inc/_globals/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90&client=fr&cnt=352260&src=109621
3. http://www.oekonux.de/
4. http://www.oekonux-konferenz.de/
5. http://www.oekonux.de/texte/fragen.html
6. http://www.oekonux.de/liste/archive/msg07492.html
7. http://www.infonomics.nl/FLOSS/report
8. http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html
9. http://www.fr-aktuell.de/alternative/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90
10.
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/deutschland/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90&cnt=352293
11.
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/wirtschaft_und_boerse/wirtschaft/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90&cnt=352259
--
Georg C. F. Greve <address@hidden>
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GNU Business Network (http://mailman.gnubiz.org)
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