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Re: Weizenbaum: Wir gegen die Gier


From: Ingmar Redel
Subject: Re: Weizenbaum: Wir gegen die Gier
Date: Thu, 13 Mar 2008 22:18:22 +0100
User-agent: Thunderbird 1.5.0.13 (Windows/20070809)

Lieber Bernhard, liebe Mitlesende,

ich möchte meinen Standpunkt versuchen besser zu erläutern.

>> Wie auch immer: die Frage ist, ob wir weiter machen wie bisher
> Ich verstehe das auch als Kritik an meinem persönlichen politischen Handeln,
> denn schliesslich mache ich Deiner Ansicht was falsch.
> Ich verstehe aus Deiner Email allerdings nicht, was und wie es besser ginge.

Erstmal ist es richtig, dass ich das Empfinden habe, dass wir etwas falsch machen und das schon sehr lange. Dies aber heisst wiederum nicht, dass ich denke, dass die einzel-thematische Arbeit falsch wäre. Im Gegenteil, es braucht konkrete Arbeit zu einzelnen Themen, um hier Wissen zu vertiefen und gute Lösungen zu finden.

Auf der anderen Seite wird mir aber auch immer mehr klar, dass der aktuelle Weg allein, also das reine Denken in Organisationen und ihren festen Themen und wiederum ihren individuellen Kampagnen uns nicht "retten wird". Die Zustandsverschlechterung ist kontinuierlich. Einige kleine und auch große Erfolge wurden Errungen, viele Niederlagen wurden aber gleichzeitig erlitten und neue Probleme treten permanent hervor.

Ich denke, wir brauchen dringen eine breite, Themen übergreifende Partizipation der Bürgergesellschaft. Gesellschaft ist nicht nur ein Thema. Wenn sich der Einzelne aber nur auf ein Thema konzentriert (was im Arbeitskontext natürlich ok ist, aber eben nicht allgemein) und nur zu einem Thema z.B. an Kampagnen teilnimmt, haben wir das Problem, dass das Ganze, nämlich generell eine mitmenschliche Gesellschaft zu erringen, unterräpresentiert ist.

Es ist eine ganz simple Rechnung: wenn wir fiktiv 100.000 Menschen haben, die bereit sind an Kampagnen, Petitionen, Volksentscheiden usw. teilzunehmen und so der Stimme der Bürgergesellschaft ausdruck verleihen möchten, jedoch immer nur ihren kleinen Bereich sehen, brechen wir damit die Zahl Aktiven Gesellschafter pro Thema auf ein Bruchteil herunter.

10.000 Menschen für ein soziales Thema x.
10.000 Menschen für freie Software.
10.000 Menschen für regenerative Energien.
10.000 Menschen für Datenschutz... usw.

So bleibt am Ende "jedes Grüppchen" unter sich, nimmt nur an eigenen Kampagnen teil, sieht nicht die Gesellschaft als Ganzes und ist oft blind für die anderen dringend nötigen Veränderungsprozesse. Und so kämpfen dann immer diese kleinen Grüppchen gegen die grossen Mühlen, ohne das sie realisieren, dass sie zusammen, wenn sie sich gegenseitig öffnen würden, das Ganze realisieren würden, viel stärker wären.

Das ist es auch, was ich letztlich mit dem World Social Web Dialogue bzw. dem Unterprojekt OneAim.org für ein globales Kampagnen Informations Netzwerk (ein dezentraler Internet Standard für Kampagnen, Petitionen und Volksentscheide) teilweise plane und damit verbessern möchte.

Wir brauchen für jedes wichtige Thema alle 100.000 Stimmen. Erst durch solche Synergie könnten in der Zukunft relevante Massen entstehen, welche doch noch das Ruder in gewisser Weise "herumreissen".

Natürlich müssen Informationen gefiltert und bewertet werden, um der Informationsüberflutung entgegenzuwirken - aber das ist wieder eine andere Sache. Wichtig ist im Kern der Aufbau von Themen übergreifender Synergie.

Letzteres heisst nicht, dass die FSFE oder NFW z.B. alles und jedes unterstützen sollen. Nein. Die NGO als thematische NGO wird nicht angetastet und soll weiter ihre Arbeit so gut wie möglich umsetzen, jedoch in der Zukunft im Aussenrahmen ihres Themas (hier z.B. freies Wissen) auch mehr Kooperationen suchen, um gemeinsam bessere Aufklärung, Kampagnen- und Lobbyarbeit leisten zu können.

Das ist das eine. Der andere Punkt betrifft aber direkt den einzelnen Menschen. Dich, mich, Petra, Christoph, alle. Privat. Kochen wir auch privat, als einzelne Bürger, nur ein Thema und nehmen wir nur thematisch an den immer gleichen Initiativen durch unsere Stimme teil? Oder tragen wir dazu bei, das sich durch Synergie der Pool der Stimmen für JEDES wichtige Thema vergrössert?

Es geht dabei um grundlegende ethische Werte und die Verkopplung von Zusammenhängen, die in einer Gesellschaft letztlich NICHT voneinander getrennt werden können. Auch wenn soziale, ökologische, datenschutztechnische, menschenrechtliche oder belange des freien Wissen usw. jeweils ein wichtiges Thema für sich sind, kann alles ohne das andere NICHT sein.

Was ist freie Software unter einer "Brasilianisierung der Gesellschaft" (zunehmende soziale Ungleicheheit)? Was ist freie Software wert, wenn es zu einem Klimakollaps kommt? Was ist freie Software wert, wenn der Überwachungsstaat umsich greift? Die Antwort ist immer: nichts. Genauso umgekehrt. Es nützt nichts, wenn es sozial gut läuft und die Erde kollabiert, genauso wenig, wie es etwas nützt, wenn der Klimakollaps verhindert wird und die Armut überall auf der Welt (auch in Deutschland) immer weiter steigt.

Kurz: alle Themen sind letztlich miteinander verknüpft und wir brauchen die Synergie der Stimmen für alle wichtigen Themen. In unserer Arbeit können wir uns weiter auf eine Sache konzentrieren, aber als Bürger, privat, müssen wir alle wichtigen Themen unterstützen, weil alles miteinander verwoben ist.

Letzteres kann man aus mitmenschlicher Erkenntnis tun - oder aus strategischem Denken heraus. Wie auch immer der Weg ist, hauptsache es geschieht.

Wie ich schon schrieb, muss eine NGO ihr Terretorium dafür nicht verlassen. Auch der Einzelne muss seinen Arbeitsfokus nicht verlassen. Aber er sollte in der Zukunft gewillt sein alle wichtigen Anliegen durch seine Stimme zu unterstützen (wie das effektiv möglich ist im Rahmen eines Kampagnen Informations Systems ist wieder eine andere Sache.

Was kann die einzelne NGO tun, um diese Themen übergreifenden Synergie zum Wohl der gesamten Gesellschaft zu unterstützen? Sie kann ein solches globales, dezentrales, semantisches Kampagnen System ideel unterstützen und an die Mitmenschen zur Teilhabe appelieren.

Ich weiss nicht, ob es rüber kommt, aber ich wünsche mir ganz klar eine aktive Bürgergesellschaft - Übersetzungen vorausgesetzt sogar eine aktive Weltbürgergesellschaft.

Gerade habe ich von Aglaia einen tollen INEF Report (Institut für Entwicklung und Frieden) zugesandt bekommen zum Thema "Das Konzept Global Governance - Stand und Perspektiven", welches wirklich sehr zu empfehlen ist und ihr euch hier als .pdf herunterladen könnt:

<http://inef.uni-due.de/page/Abstract.html/715>

Wenn wir z.B. im Rahmen der Entwicklung von Global Governance wirklich ein wichtiger Player werden wollen als Weltbürgergesellschaft, müssen wir es schaffen - neben guten Argumenten - mehr Stimmen bottom-up für unsere Anliegen einer mitmenschlichen Gesellschaft zu mobilisieren. Stimmen bedeuten Druckmittel für gute Argumente.

Und an diesem Punkt ist es eben ein Unterschied, ob ich zu jedem Thema nur 10.000 Stimmen habe oder zu jedem Thema mit 100.000 Stimmen - oder auf der internationalen Ebene sogar mit xxx Millionen Stimmen aufwarten kann. Jede Stimme ist Druckmittel und ein Teil der Stimmen ist auch immer für konkrete Kampagnen vor Ort aktivierbar, wenn die Stimme allein nicht ausreicht und öffentlicher Protest nötig ist.

Ich weiss, dass es schwer ist diese Veränderungen und eine solche ganzheitliche Synergie herbeizuführen, doch denke ich, dass daran kein Weg vorbei führt, wenn wir stärker werden, den permanenten gesellschaftlichen Abrutsch verhindern und mehr mitmenschliche Gedanken in der Welt umgesetzt sehen wollen.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Alles Liebe
Ingmar






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